5 Fragen an …



5 Fragen an …

Vatergeschichten.de-Initiator Ingo Schwan

 

Herr Schwan, was hat Sie dazu bewegt, diese Webseite ins Leben zu rufen?

Ein Teil der Motivation ist in meiner eigenen Geschichte begründet. Mein Vater starb, als ich acht Jahre alt war. Erst Jahre später bemerkte ich, dass ich infolge des Verlustes bestimmte Denkmuster und Haltungen entwickelt hatte, die sich in vielen Lebensbereichen langfristig als hinderlich erwiesen. Es hat mich viel Energie und Zeit gekostet, mir über die langfristigen Folgen dieser Muster klar zu werden.

Diese Seite lädt ein, das Erlebte miteinander zu teilen und gemeinsam herauszufinden, inwiefern eine Versöhnung mit der eigenen Geschichte möglich ist. Es wäre schön, wenn Menschen, denen es gelungen ist, sich mit Vätern und ihrer Geschichte zu versöhnen, in einen Austausch kommen könnten mit denen, die noch auf dem Weg sind.

Meine Hoffnung ist zudem, dass sich Psychologen, Seelsorger und andere professionelle Helfer finden, die in akuten Fällen professionell unterstützen.

Letztendlich geht es um Vernetzung. Darum, einander Mut zu machen und sich zu verbünden, um negativen Ereignissen die Macht zu nehmen, langfristig das Leben zu beeinflussen. Und das geht besser gemeinsam.

 

Wen wollen Sie mit der Seite ansprechen?

Vatergeschichten.de richtet sich an jeden von uns. Jeder ist Sohn oder Tochter, und früher oder später verliert jeder seine Eltern. Spätestens dann ist Vaterlosigkeit ein Thema, das uns für den Rest des Lebens begleiten wird. Wenn ich mit Menschen ins Gespräch komme, höre ich oft, wie sehr sie ihren Vater vermissen oder dass sie bereuen, etwas nicht zu seinen Lebzeiten geklärt zu haben.

Worte von Menschen, die uns wichtig sind, wiegen schwerer als Worte von Fremden. Unter den uns nahestehenden Menschen haben die Worte des Vaters ein besonders hohes Gewicht. Kein anderer Mensch vermag uns so zu beeinflussen – im Guten wie im Schlechten. Vielen Vätern ist gar nicht bewusst, wie groß ihre Wirkung ist.

Der Psychotherapeut Peter Ballnik schreibt in seinem Buch „Vaterseelenallein“, dass Väter innerhalb des Familiengefüges die Aufgabe haben, Sohn oder Tochter an sicherer Hand in eine für sie unbekannte Welt zu führen. Im Schutz des Vaters lernen sie, dass Neues nicht zwingend gefährlich ist. Dass es möglich ist, sich Unbekanntem zu nähern und es angstfrei zu erforschen.

Jeder hat es in der Hand, Beziehungen mitzugestalten, solange der andere noch lebt. Hierbei geht häufig um Versöhnung; darum, Vertrauen wiederherzustellen, um gemeinsam das kostbarste Gut jeder Beziehung zu teilen – Zeit.

Ich denke, dass es wichtig ist, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass wir die Zeit mitgestalten können, die wir mit uns nahestehenden Menschen verbringen. Wir als Teil der Beziehung entscheiden selber, wie wir damit umgehen wollen. Als Kind mag der Einfluss begrenzter erscheinen. Und gleichzeitig hören wir immer wieder Geschichten, in denen Mädchen ihre Väter von klein auf um den Finger wickeln. Ganz hilflos scheinen auch Kinder nicht zu sein.

Sobald wir erwachsener werden und reflektieren lernen, könnte es hilfreich sein, darüber nachzudenken, wie wir die Beziehung gestalten wollen zu dem Menschen, der uns als erster die Welt erklärt und uns geprägt hat – vor dem Hintergrund, dass diese Beziehung womöglich eher endet als wir denken.

 

Wer zählt aus Ihrer Sicht zu den „abwesenden Vätern“?

Wenn Menschen sterben, sind sie definitiv abwesend. Alles, was noch einer Klärung bedurft hätte, bleibt nach dem Tod ungeklärt.

Zu den abwesenden Vätern zählen aus meiner Sicht aber auch Väter, die ihre Kinder nie kennenlernen, sie nicht annehmen oder sich von der Mutter des Kindes trennen. Außerdem zähle ich auch jene Männer zu den abwesenden Vätern, die unter der Woche in einer anderen Stadt leben, weil sie dort arbeiten, sowie solche, die extrem lange arbeiten oder emotional distanziert sind.

Egal ob es sich um eine physikalische oder emotionale Abwesenheit handelt: Der abwesende Vater versäumt, sein ihm anvertrautes Kind in ein Leben zu führen, es zu prägen und ihm Sicherheit zu geben.

 

Welche Folgen hat das für den Sohn / die Tochter, aber auch für die Gesellschaft?

Es gibt etliche Studien darüber, welche Folgen abwesende Väter auf die Entwicklung von Kindern haben. Einige Ergebnisse von denen, die ich gelesen habe, sind unter dem Menüpunkt „Mediathek“ erwähnt.

Zu den Folgen gehören unter anderem Verhaltensauffälligkeiten des Kindes von dem Moment an, wo der Vater fehlt; geringeres Selbstwertgefühl, Angst, Unsicherheit, Hoffnungslosigkeit, etc. Dokumentiert sind deutliche Auffälligkeiten in Schulnoten, häufigere Teenagerschwangerschaften, Drogenkonsum und Kriminalität. Dabei handelt es sich zumeist um statistische Befunde aus englischsprachigen Ländern. Gesellschaftliche Folgen von Vaterlosigkeit findet sich im US Haushalt aufgelistet wieder; sie werden dort als „volkswirtschaftlicher Schaden“ in der Höhe von 112 Milliarden Dollar jährlich beziffert.

Beeindruckt bin ich von den Berichten der Menschen, die ihren Vater ihr ganzes Leben vermisst haben, weil er beispielsweise nicht aus dem Krieg heimgekehrt ist. Einige dieser Lebensgeschichten hat der Filmemacher Andreas Fischer in zwei Filmen dokumentiert. In „Söhne ohne Väter“ erzählen Männer über den Verlust ihrer Väter und wie dieser Verlust ihr Leben geprägt hat. „In Töchter ohne Väter“ berichten Frauen, was es für sie bedeutet hat, vaterlos aufzuwachsen. Diese Geschichten verleihen jeder Statistik mehr Eindringlichkeit, als Zahlen das je vermögen.

In Deutschland ging zuletzt durch die Presse, dass 19 Prozent der Eltern alleinerziehend sind. Unterstützungs- und Förderungsmöglichkeiten werden diskutiert. Doch auch wenn finanzielle Förderungen vielleicht helfen, wirtschaftliche Herausforderungen zu erleichtern, bleiben die Folgen für die Psyche der Kinder unbeachtet. Und sollte nicht die eigentliche Frage diejenige sein, wie sich Trennungen von Paaren vermeiden ließen?

Letztendlich vermag kein Geld der Welt die Vaterwunde zu heilen, die entsteht, wenn der wichtigste Mensch im Leben eines Kindes seine prägende Rolle – die der unterstützenden Führung in eine unbekannte Welt – nicht wahrnimmt.

 

Wird der väterliche Einfluss auf Kinder heute unterschätzt?

Zahlen und Geschichten deuten darauf hin, dass zumindest in den Ländern, in denen solche Statistiken erhoben werden, der Folgen der Vaterabstinenz auf Kinder bekannt sind. In anderen Ländern – etwa Deutschland – werden die Raten erfolgreicher Zweit- oder Folgeehen nicht erhoben. Wie aus englischsprachigen Ländern bekannt ist, scheitern Zweitehen mit einer Wahrscheinlichkeit von 66 bis 75 Prozent. Bei mehr als zwei Eheschließungen liegt die Erfolgsrate nur mehr unter fünf Prozent.

Vielleicht wird der direkte Einfluss fehlender Väter nicht unterschätzt, jedoch die Bedeutung der langfristigen Folgen. Und selbst wenn die Bedeutung von abwesenden Vätern gut eingeschätzt wird, bedeutet es für Menschen in Schwierigkeiten nicht zugleich, dass sie in der Lage sind, Wege zu finden, die eine Trennung verhindern und gleichzeitig eine positive stabile Umgebung für alle Beteiligten zu schaffen.

Fehlende Väter machen das Leben für Kinder in jedem Fall komplizierter, genauso wie ein neuer Partner des Elternteils, bei dem die Kinder leben. Zentrale Fragen des Lebens wie „Wirst Du für mich da sein, wenn ich Dich brauche?“ bleiben nach Trennungen oftmals unbeantwortet. In dieser Frage sind weitere Fragen enthalten, die oftmals nicht ausgesprochen werden, beispielsweise „Warum, verlässt Du mich?“ und „Liebst Du mich nicht mehr?“ Oder: „Wenn Liebe zwischen Menschen enden kann, was hat sie dann noch für eine Bedeutung?“ Ungeklärte zentrale Fragen des Lebens ziehen sich wie ein roter Faden durch das Leben von Betroffenen und beeinflussen die weitere Entwicklung, den Selbstwert und die Fähigkeiten, Lösungen zu entwickeln, etc.

Wird der positive Einfluss von Vätern gestärkt, hat dies auch wirtschaftlich positive Folgen für die Gesellschaft. Das erfordert unter anderem, die Rolle des Vaters zu überdenken. Statistiken und Lebensgeschichten wie hier auf Vatergeschichten.de können diesen Prozess sicher unterstützen.

Letztendlich ist aus meiner Sicht ein Punkt besonders wichtig: Jeder ist gut beraten zu erkennen, dass das eigentliche Problem nicht seine Vatergeschichte ist, sondern das, was er in seinem Kopf daraus macht. Wir sind viel handlungsfähiger, als wir vielleicht in schwierigen emotionalen Momenten glauben. Nur sagt uns das in diesem Moment vielleicht niemand, der zu uns durchzudringen kann und dessen Wort dann auch genügend Gewicht hat. Wie etwa das Wort unseres Vaters.