Der Erfolg meines Vaters

Ich glaube mein Vater liebt mich. Es wäre unfair, ihm etwas Anderes zu unterstellen. Er zeigt mir seine Liebe so gut er es kann, denn er ist kein ausgesprochen emotionaler Mensch. Ich fühle mich auf jeden Fall von ihm wertgeschätzt. Gleichzeitig begleitet mich mein Leben lang das Gefühl, nicht an meinen Vater heranzureichen. Ich liebe meinen Vater. Darüber hinaus habe ich ihn als Kind vor allem bewundert. Er war und ist in vielen Dingen mein großes Vorbild. Er ist für mich eine Ikone der Intelligenz und des beruflichen Erfolgs.

Seine Schullaufbahn war tadellos, sein Abitur machte mein Vater mit einem Schnitt von 1,0. Medizin hat er nach eigener Aussage nur deshalb nicht studiert, weil das Fach damals keinen Numerus clausus hatte und deshalb für ihn keine adäquate Herausforderung darstellte. Er studierte Chemie, nebenbei einige Semester Mathematik und hat sowohl Studium als auch Promotion mit Summa cum laude, also mit Bestnote abgeschlossen. Er hat bei einem großen deutschen Chemie-Unternehmen Karriere gemacht und mit beruflichen Erfolgen geglänzt.

Ich habe dagegen ein aus meiner Sicht mittelmäßiges Abitur gemacht. Mein Vater sagte damals: „Mein Sohn, studier was G’scheits, mach keine Chemie!“ Gleichzeitig hat er mich bei jeder Gelegenheit in unterschiedliche Betriebe, Museen und Labore mitgenommen und mich für die Naturwissenschaften begeistert. Das Fach Chemie hatte mir in der Oberstufe Spaß gemacht und aus meiner Sicht sprach nichts dagegen, ebenfalls Chemie zu studieren. Begleitet hat mich jedoch das ungute Gefühl, niemals so gut sein zu können, wie mein Vater. Dieses Gefühl hat mich immer wieder frustriert. Als Kind habe ich es geliebt, ihm bei Arbeiten und Reparaturen zur Hand zu gehen; ich wollte von ihm lernen und ihm zeigen, was ich schon kann. Doch er war oft ungeduldig mit mir und hat meine Hilfe zurückgewiesen. Das hat mich nachhaltig tief verletzt. Kritik an meinem Tun und Handeln erfolgt bis heute durch unterschwellige Unmutsbekundungen, die es unmöglich machen, Konflikte offen anzusprechen und auszutragen. Gegen Ende der Promotion hatte ich schließlich eine ausgewachsene Schreibblockade und das Gefühl endgültig zu scheitern. Die Blockade habe ich zwar letztlich überwunden, das Gefühl des Versagens hat jedoch dauerhafte Spuren in meiner Seele hinterlassen. Ich gebe das nicht gerne zu. Ich mache meinen Vater nicht dafür verantwortlich. Er hat mich nach bestem Wissen und Gewissen großgezogen und mich stets großzügig unterstützt. Er hat mich nie bewusst unter Druck gesetzt. Der Erfolg meines Vaters setzte mich dagegen sehr unter Druck. Ich hadere bis heute mit meinem Selbstwertgefühl, frage mich, warum ich selbst nicht wertschätzen kann, was ich erreicht habe. Woher kommt mein innerer Konflikt, das Gefühl, nicht zu genügen? Ich wünschte, ich würde eines Tages eine Antwort darauf finden. Oder wenigstens Frieden mit mir selbst schließen.“