Mögliche Folgen der Vaterlosigkeit

Jeder Mensch ist Sohn oder Tochter. Jeder Mensch kann sie deshalb erzählen: Vatergeschichten. Vater-Kind-Beziehungen sind schön oder erschreckend, hilfreich oder Hindernis. Doch wie auch immer, sie beeinflussen unser Verhalten, unsere Denk- und Glaubenssysteme. Sie prägen unser Leben in einem Ausmaß, wie vielleicht keine andere Beziehung in unserem Leben.

Worte haben Gewicht. Abhängig vom Sprechenden hat bereits ein Wort die Macht, unser Situationserleben, unsere Entscheidungen und zukünftigen Verhaltensweisen zu beeinflussen. Ein Lob an eine Jugendliche von einem Außenstehenden führt womöglich nur zu der Antwort: „Ich danke dir, doch ich wünschte, mein Vater hätte das zu mir gesagt.“

Die Worte des Vaters haben ein sehr großes Gewicht, sie prägen uns, beeinflussen stark unser Erleben und Bewerten von Situationen. Ein fehlender positiver Vatereinfluss kann mangelhafte Lösungskompetenz, auffälliges Verhalten und ein geringeres Selbstwertgefühl nach sich ziehen. Wer ohne Vater aufwächst, neigt dazu, den Belohnungen im Hier und Jetzt den Vorzug zu geben anstatt auf langfristige Werte zu setzen. Fehlender Vatereinfluss macht das Leben schlichtweg weniger lebenswert und raubt uns einen Großteil der Fähigkeiten, schwierige Situationen im Leben zu meistern.

Wie definiert sich Vaterlosigkeit als Synonym für den (emotional) fehlenden, Sicherheit versprechenden Vater?
Vaterlosigkeit entsteht, wenn Väter sterben. Welche Folgen Vaterlosigkeit für eine ganze Generation haben kann, hat der Filmemacher Andreas Fischer in zwei Dokumentarfilmen festgehalten. Beide beschäftigen sich mit längst erwachsenen Söhnen und Töchtern, deren Väter im Zweiten Weltkrieg gestorben sind. Die interviewten Damen und Herren zeigen in ihren Lebensgeschichten, in welchem Ausmaß der vermisste Vater ihr Denken und Fühlen und damit ihr gesamtes Leben beeinflusst hat. Zum Zeitpunkt der Interviews blicken diese Zeugen auf einen bereits langen Lebensweg zurück.

Eine andere Form der Vaterlosigkeit entsteht, wenn Väter sich von ihren Familien trennen. Von dem Moment des Getrenntlebens – unabhängig davon, ob eine Scheidung erfolgt ist oder noch bevorsteht – schwindet ihr Einfluss auf die Kinder. Sie sind seltener anwesend und können ihre Aufgabe als begleitende, Sicherheit schenkende Vaterfigur nicht mehr in dem nötigen Ausmaß nachkommen.

Vaterlosigkeit entsteht aber auch, wenn Väter extrem viel arbeiten oder unter der Woche in einer anderen Stadt leben, um dort zu arbeiten. Der von den Kindern benötigte Einfluss eines liebenden, schützenden und begleitenden Vaters kommt zu kurz.

Eine letzte Form der Vaterlosigkeit finden wir, wenn Väter emotional nicht oder nicht ausreichend in der Lage sind, ihre Rolle als liebender, schützender und begleitender Vater wahrzunehmen. Es ist dabei nicht ausschlaggebend, ob sie dies nie gelernt haben oder ob externe Faktoren wie Stress oder Arbeit sie an ihre persönlichen Grenzen bringen.