Vater werden ist nicht schwer…

Besser kann man meine Einmischung in das Leben meiner Eltern nicht beschreiben. Als „TroPi“-Kind (meine Mutter wurde mit 22 Jahren trotz Pille schwanger) habe ich mich unverhofft aber wenigstens erwünscht bei ihnen angekündigt. Mein Vater war 25 Jahre jung, als ich geboren wurde. Das Vatersein fiel ihm sicher nicht so leicht. Auf frühen Kinderfotos hält er mich im Arm, sein Blick zeigt eine Mischung aus Unsicherheit und Stolz. In den ersten Erinnerungen an meinen Vater bin ich vier oder fünf Jahre alt. Ich erinnere mich zum Beispiel, dass er mir eine Sandkiste gebaut hat. Meine Hauptbezugsperson war jedoch schon immer meine Mutter. Das hatte in meiner späteren Kindheit zweierlei zur Folge: Das Verhältnis zu meinem Vater hatte deutlich weniger Konfliktpotential und es war deutlich distanzierter. Mein Vater war ein typischer Wochenendpapa. Unter der Woche war er oft geschäftlich unterwegs. Wenn er nach Hause kam, dann meistens spät. Ich erinnere mich, dass ich abends oft erst einschlafen konnte, wenn ich ihn an der Haustür  gehört habe. Er war mir also sehr wichtig! Eine Situation ist mir in Erinnerung geblieben: Mein Vater sollte wieder für ein paar Tage wegfahren. Ich war zehn Jahre alt, vielleicht auch etwas jünger, und sagte zu ihm: „Hoffentlich bist du bald weg, damit du bald wieder da bist.“ Mein Wunsch war, er möge schnell wieder nach Hause kommen, aber meine Eltern hörten nur das „Hoffentlich bist du bald weg…“ und es gab einen fürchterlichen Ärger. Dieses Missverständnis war nur eines von unzähligen. Bei solchen Gelegenheiten sagte mein Vater seinen Lieblingssatz: „Erst denken, dann reden!“ Seiner Meinung nach trug ich wahrscheinlich das Herz auf der Zunge. Ich fühlte mich wirklich oft falsch verstanden.

Am Wochenende hat mein Vater oft Ausflüge mit uns gemacht. Wir sind Fahrrad gefahren oder gewandert, waren Pilze suchen, im Naturfreundehaus oder haben Burgen besichtigt. Während sich unter der Woche fast ausschließlich meine Mutter um mich und meinen Bruder gekümmert hat, blieb sie an den Wochenenden alleine zu Hause, um sich von uns zu erholen. Mein Vater hatte stets betont, dass er das Geld verdient, während sie sich um unsere Erziehung kümmert. Ich habe es bedauert, dass wir selten als Familie zu viert unterwegs waren. Andererseits habe ich es genossen, mich alleine mit meinem Vater zu unterhalten. Natürlich stets auf der Vernunftebene, selten auf der emotionalen Ebene. Ich glaube für ihn war es eine große Erleichterung, als wir größer wurden und er sich mit uns unterhalten konnte.

Ich erinnere mich daran, wie irritiert ich war, als ich mit etwa 14 Jahren bei meiner Freundin sah, wie liebevoll ihr Vater sie in den Arm nahm. Das Bild war mir sehr fremd! Wenn mein Vater sich uns körperlich zugewandt hatte, dann nur, um mit uns zu toben oder uns mal durchzukitzeln. Er hat niemals die Hand gegen mich erhoben, er hat mich aber auch niemals – als Kind und bis heute nicht – richtig liebevoll in den Arm genommen, geschweige denn auf die Stirn oder die Wange geküsst.

Später habe ich durch meine Mutter erfahren, dass er selbst recht lieblos aufgewachsen ist. Die Mutter meines Vaters war eine tolle Oma, aber eine miserable Mutter. Nicht nur mein Vater litt als Kind unter ihrer Gefühlskälte, sondern auch mein Opa, mit dem sie zeitweilig sogar wochenlang kein Wort gesprochen haben soll, wenn sie sauer war. Meine Mutter ist vermutlich der einzige Mensch, dem sich mein Vater emotional öffnen kann. Mir bleibt der Zugang zu seinem Gefühlsleben verwehrt. Trotzdem weiß ich, dass er uns und seine inzwischen vier Enkelkinder über alles liebt! Er kann es uns nur leider nicht so zeigen, wie ich es mir wünschen würde.“